Die „Wikingerzeit“ (ca. 800-1100) war eine Zeit der Expansion, in der Skandinavier*innen Siedlungen im Ostseeraum und weit darüber hinaus gründeten – sogar in Nordamerika.
Wenn innerhalb dieses Kulturraums frühmittelalterliche Schätze zu Tage kommen, stellt sich die Frage der Zugehörigkeit: Wem „gehören“ sie? Wessen Kulturerbe sind sie?
Der Blick auf historische Quellen zeigt, wie vielschichtig und teils widersprüchlich Aneignungen und Zuordnungen von Schatzfunden sind. Zu unterschiedlichen Zeiten sind sie sowohl als regionales oder nationales Erbe, aber auch als europäisches oder Weltkulturerbe vereinnahmt worden.
„In Dänemark sind wir stolz auf unser Wikingererbe – aus gutem Grund. Die Wikingerzeit ist aufregend. Es war eine Zeit, als wir wagemutig neue Länder entdeckten. Ich liebe sie.“
Rane Willerslev, Direktor des Dänischen Nationalmuseums, 2021
Als die Nationalstaaten Dänemark, Norwegen und Schweden im 19. Jahrhundert entstanden, schrieben Altertumsforscher für alle drei Länder neue Nationalgeschichten. Die Periode zwischen Vorgeschichte und Mittelalter nannten sie Wikingerzeit, nach den skandinavischen Expansionsbewegungen – in dieser Epoche habe die jeweilige Nation erstmals Einfluss auf die Weltgeschichte genommen.
Die „neue“ Epoche wurde in die nationalen Museen integriert: ab 1904 besaß das Historische Museum in Oslo einen Wikingerzeitsaal. Der Hoenschatz wurde dort als Höhepunkt inszeniert.
Auch heute werden Objekte der Wikingerzeit in skandinavischen Museen häufig als explizit national präsentiert.
Es erstaunt vielleicht wenig, dass man sich skandinavische Funde wie den Hoenschatz ebendort national aneignete.
Aber auch der Hiddenseeschmuck wurde als Teil nationaler – deutscher – Geschichte inszeniert. Obwohl man seine Produktion bereits früh in Skandinavien vermutete.
1880 wurde er auf der Ausstellung archäologischer Funde des Deutschen Reiches gezeigt.
1936 zeigte die NS-Propagandaausstellung „Deutschland“ in Berlin eine Replik des Schmucks.
Ab 1976 reiste er auf einer DDR-Briefmarke als nationales Kulturgut um die Welt.
In den skandinavischen Staaten galten und gelten Goldschätze der Wikingerzeit als nationales Kulturerbe. Die Zusammenführung aller Goldfunde in den Museen der Hauptstädte hat zu ihrer nationalen Aneignung beigetragen.
Dagegen gelangte der Hiddenseeschmuck in ein regionales Museum. Er wurde dadurch besonders mit der Region Vorpommern verbunden. In den deutschen Ausstellungen von 1880 und 1936 war neben der Inszenierung als nationales Kulturgut jeweils die Zugehörigkeit zur „Provinz Neuvorpommern und Rügen“ beziehungsweise zum „Gau Pommern“ hervorgehoben. 1936 wurde er wegen seiner skandinavischen Herkunft in Peter Paulsens Publikation als Zeuge einer angeblichen „germanischen“ Vorherrschaft in der Region vereinnahmt.
Die geografisch weit verzweigten Kontakte in der Wikingerzeit waren schon früh bekannt. So wurden etwa einige der Goldmünzen aus dem Hoenschatz schon kurz nach ihrem Fund 1834 als Produkte arabischer und persischer Provenienz erkannt, die wohl über Handelskontakte nach Nordeuropa kamen.
Dieses Potenzial, Geschichte jenseits nationaler Grenzen zu schreiben, erhielt jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkte Aufmerksamkeit. Die 1945 zur Völkerverständigung gegründete UNESCO nahm 1978 wikingerzeitliche Siedlungsreste in Kanada in ihre Liste auf, da sie ein „einzigartiger Meilenstein menschlicher Migration“ seien.
1993 rief der Europarat die europäische Viking Cultural Route ins Leben, eine Reiseroute, die neben diversen Stationen in Nord- und Südeuropa, zu denen auch das Kulturhistorische Museum Oslo mit dem Hoenschatz gehört, auch Nordamerika und „den Osten“ umfasst.
Auf der Homepage des Europarats wird das Projekt folgendermaßen begründet:
„In dieser Zeit, in der nur wenige Menschen reisten, führten die Wikinger Überfälle aus, trieben Handel und siedelten weiträumig. Für Jahrhunderte waren sie die Überbringer von Kultur und Traditionen auf dem europäischen Kontinent. Das Erbe der Wikinger eint somit die Völker im heutigen Europa.“