Gold ist nicht nur schön und gut zu verarbeiten, es ist auch rar und nicht überall auf der Welt vorhanden.
Welche Bedeutung hatte Gold im Ostseeraum des frühen Mittelalters, als der Hiddenseer Goldschmuck und der Hoenschatz hergestellt und verborgen wurden?
Der Hiddenseer Goldschmuck besteht aus 16 Teilen: 14 Anhänger, ein Halsring und eine Scheibenfibel. Das Gold zeichnet sich durch eine fast identische chemische Zusammensetzung aus und die technische Ausführung ist von herausragender Qualität. Der Schmuck wurde im späten 10. Jahrhundert von einem erfahrenen Feinschmied angefertigt, dann vergraben und erst 1872-74 nach mehreren Sturmfluten auf der Insel Hiddensee in Norddeutschland wiederentdeckt.
Der Goldschatz, der 1834 auf einem Feld der Farm Hoen in Südost-Norwegen gefunden wurde, ist mit 2,5 kg der größte erhaltene wikingerzeitliche Goldschatz. Anders als der Schatz von Hiddensee, der sich durch technische und stilistische Einheitlichkeit auszeichnet, besteht der Hoenschatz aus 207 Einzelteilen – darunter auch byzantinische Glasperlen und Münzen aus dem islamischen Raum. Die Provenienzen der einzelnen Teile bezeugen die weit verzweigten Kontakte skandinavischer Eliten im späten 9. Jahrhundert.
Der Hiddenseer Goldschmuck ist einer Gruppe von Schmuckstücken im „Hiddensee-Stil“ aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts zuzuordnen. Funde von Pressmodeln zur Herstellung von Scheibenfibeln und Anhängern dieses Stils in Haithabu, dem wichtigsten Hafen des dänischen Reiches, und den unter Harald Gormsson „Blauzahn“ († 986/7) angelegten Ringburgen deuten darauf hin, dass der Schmuck im Umkreis dieses dänischen Königs entstand.
Harald ließ sich 960 taufen – eine christliche Deutung der Kreuzformen auf Scheibenfibel und Anhängern des Hiddenseer Goldschmucks ist demnach nicht ausgeschlossen. Der König trug den Schmuck jedoch nicht selbst: Grabfunde von Frauenskeletten mit Scheibenfibeln lassen vermuten, dass auch das Gold aus Hiddensee wahrscheinlich Frauenschmuck war.
Die importierten Münzen und weitere Bestandteile des Hoenschatzes wurden in einer skandinavischen Feinschmiedewerkstatt mit Ösen versehen und zu Anhängern verarbeitet. Wahrscheinlich sollten sie als Kette den Rang einer mächtigen Person hervorheben.
Das 9. Jahrhundert war eine Zeit skandinavischer Ausbreitung mit Expeditionen und Plünderungen in ganz Europa. Die Gegend um den Fundort war gut an Nah- und Fernhandelswege angebunden, vermutlich hatten die Besitzer*innen des Goldschatzes direkt oder indirekt von dieser Expansion profitiert.
Im Ostseeraum wurde im Frühmittelalter weder Gold- noch Silber gewonnen. Die Herstellung skandinavischen Schmucks der Wikingerzeit erfolgte aus importierten Gegenständen – wie z.B. Münzen, die eingeschmolzen und neu verarbeitet wurden.
Viele Tausend Kilogramm Silber gelangten über Handelswege nach Nordeuropa: im Tausch gegen begehrte Waren (z.B. Felle), aber auch für versklavte Menschen. Geschätzte 400.000 arabische Silbermünzen, die teils zu „Hacksilber“ zerkleinert gefunden wurden, sprechen dafür, dass importiertes Silber ein Bestandteil der Alltagsgeschäfte im Ostseeraum war: auch kleinere Beträge konnten mit den nach Gewicht zerteilten Stücken beglichen werden.
Funde aus Gold sind jedoch rar und in Schatzhorten oft unversehrt. Gold scheint im Handel keine Rolle gespielt zu haben.
Vereinzelte Goldgegenstände können als Geschenke nach Skandinavien gelangt sein. Das legt der Bericht des andalusischen Diplomaten Al-Ghazal nahe, der einem skandinavischen Herrscher im Jahr 845 Kleidung und Gefäße überbrachte.
Ein Großteil des in Skandinavien verarbeiteten Goldes scheint jedoch aus Tributzahlungen und Beutezügen zu stammen. Fränkische Chroniken berichten beispielsweise, dass der Wikingeranführer Ragnar nach dem Überfall auf Paris im Jahr 845 ein Lösegeld von 7.000 fränkischen Pfund aus Gold und Silber erhielt. Ein Abkommen mit dem 991 in der Schlacht von Maldon unterlegenen König Aethelred sah vor, dass 22.000 Pfund Silber und Gold an die siegreichen Skandinavier*innen gezahlt werden.
Gold und Silber erfüllten im wikingerzeitlichen Ostseeraum unterschiedliche gesellschaftliche Funktionen. Während Silber in großen Mengen als Währung zirkulierte, war Gold nur den höchsten gesellschaftlichen Klassen vorbehalten: Der Hiddenseer Goldschmuck gehörte einer oder mehreren Frauen aus dem Umfeld des Königs.
Der Vergleich des Goldschmucks mit den fast 100 aufgefundenen weiteren Schmuckstücken des Hiddensee-Stils verdeutlicht, wie außergewöhnlich er war: Die großen Kreuzanhänger des Hiddenseeschmucks haben eine Länge von fast 7 cm. Die Vergleichsstücke sind mehrheitlich aus Silber und kleiner. Der Besitz und das Zurschaustellen von Goldschmuck waren Zeichen der Macht.
Durch ihre einheitliche Gestaltung sollten womöglich alle Schmuckstücke im Hiddensee-Stil als Zeichen des dänischen Hofs gedeutet werden. Der altnordischen Literatur des Mittelalters ist auch zu entnehmen, dass wikingerzeitliche skandinavische Herrscher Goldringe als Gaben verteilten, um Gefolgsleute an sich zu binden und politische Beziehungen zu festigen.
Dass Frauen wahrscheinlich eine besondere Rolle in dieser Art von Schatzpolitik zukam, zum Beispiel durch diplomatische Eheschließungen, spiegelt sich im archäologischen Befund. Die Verbreitung der ausschließlich von Frauen getragenen Scheibenfibeln des Hiddensee-Typs ist im Ostseeraum durch Fundorte bis ins heutige Polen und Russland bezeugt.